Schwupps - schon wieder Oktober ... Zeit zum Üben

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... und schwupps haben wir schon seit 30 Jahren die deutsche Einheit?

Am 03. Oktober ist Tag der Deutschen Einheit. Mich lässt dieser Tag grübeln. Über den Begriff "Einheit", darüber, wie ich die Wiedervereinigung erlebt habe und wie ich bis heute damit umgehe. Wenn ich ehrlich bin, gehe ich gar nicht damit um. Darmstadt ist ganz schön weit weg.

 

Offengesagt teile ich gedanklich Deutschland immer noch in Ost und West. Kenne so gut wie niemanden aus dem "Osten" und war noch nie in einem der neuen Bundesländer. Mit Ausnahme von Berlin. Von einigen Menschen im meinem Umfeld weiß ich, ihnen geht es genauso. Andere sind da hoffentlich schon viel weiter.  

Das alles lässt mich grübeln und mir kommen Sorgen und Bedenken. Über mich. Darüber wie viel Entwicklung bei mir dazu stattgefunden hat? Welche (Vor)urteile ich immer noch mit mir herum schleppe? Welche Ängste sich dahinter verbergen? Was davon will ich ändern? Wo fange ich an? 

 

Ich möchte hier keine politische Debatte anzetteln. Mir ist es allein wichtig, mir selbst über mich und meine Haltung zu unserem Land klar zu werden.  Für mich besteht unter anderem echte Unsicherheit darüber, wie ich die unterschiedlichen Regionen benennen kann. Nach 30 Jahren dürfte es meiner Meinung nach keinen neuen Bundesländer in meinem Kopf mehr geben. Bundesländer allein ist doch völlig ausreichend. Aber von Ost-Deutschland kann ich doch sprechen. Denn es gibt ja auch Nord- oder Süd-Deutschland oder?

 

Dann fällt mir allerdings auf, dass ich die Begriffe Nord- und Süd-Deutschland auf Landschaften und geographische Regionen beziehe und bei Ost- und West es sich eher um eine politische Einteilung in meinem Kopf handelt.  Bei Bayern denke ich beispielsweise an das Allgäu, die Alpen und grüne Wiesen. Bei Nord-Deutschland an Wattenmeer, Fisch und Krabbenkutter. Bei West-Deutschland kommt mir sofort der Autoaufkleber "BRD" in den Kopf und bei Ost-Deutschland schießt mir Sozialismus, Stasi  und Mauer in den Kopf. Plakativer geht es scheinbar bei mir nicht mehr. Oh, das ist gar nicht so einfach. Und für mich total erschreckend.

Wie lange also wird es bei mir noch dauern, bis solche Denk-Mauern auch in meinem Kopf eingerissen sind?  Ist das nur bei mir so? Oder geht es anderen Menschen auch so?

Die GFK hat mich schon in vielen Situationen dabei unterstützt mir über meine Bewertungen klar zu werden, mein Bewusstsein zu schärfen. Dadurch gelingt es mir leichter, mir meiner Sprachmuster bewusst zu werden und dadurch meine Einstellung zu verwandeln. Und Vorurteile abzubauen

 

Deshalb folgt hier eine Übung: 30 Jahre Einheit, die ich neu entwickelt habe. Für mich war die Übung sehr erhellend, denn ich habe gemerkt, es gab bislang keine Verbindung und ich habe auch nicht danach gesucht. 

 

Über den Begriff Einheit kam ich auf  unsere Himmelsrichtungen Nord, Süd, West und Ost. Durch die Assoziation des Begriffs West, sind mir Begriffe wie Freiheit, Offenheit, angenehm und gut gekommen.  Bei Ost kamen mir Wörter wie trüb, traurig, misstrauisch oder Selbst-Mitleid in den Kopf.  Dadurch spüre ich Gefühle wie Schuld und Scham. Und Verwirrung. Das ist bei mir das dazu vorherrschende Gefühl. Denn ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. 

 

Meine Bedürfnislage ist mir auch noch nicht klar: Ob mir die bisherige Nicht-Auseinandersetzung mit der Wiedervereinigung Schutz erfüllt hat, habe ich noch nicht abschließend herausgefunden. Aber, dass ich dafür nicht offen bin und mich diesem Thema eher verschließe wurde mir sehr deutlich. Und das bedauere ich gerade sehr. Ich hoffe, bei dir ist das anders. 

 

Die gute Nachricht für mich lautet: Ich kann es jetzt ändern. Ich kann mich ab heute anders mit unserer deutschen Geschichte auseinandersetzen und mir ein anderes, helleres, fröhlicheres, bekannteres und empathischeres Bild von dem mir völlig unbekannten Teil Deutschlands machen. Vielleicht verbringe ich meinen nächsten Urlaub mal an der Ostsee? Oder im Harz? In Thüringen soll man ja auch super wandern können.  Nach Leipzig und Dresden wollte ich schon immer mal. Ganz neue Aussichten, die sich mir da auftun. 

Wie ist es bei dir? Beschäftigt dich unsere Einheit auch?

 

Wenn ja, vielleicht auf ganz andere Weise. Vielleicht denkst du, ich kann das alles überhaupt nicht nachvollziehen, was die Birgit da schreibt. Vielleicht hast du ganz andere Gedanken dazu? Wenn du bereit bist, kommt hier meine Einladung an dich, die folgende Übung durchzuführen.  

Mind-Map-Übung zur Einheit:

Wachstumsmöglichkeit: Selbst-Einfühlung, Klarheit, Aufbau Gefühls- und Bedürfniswortschatz

Material: Papier, DIN A4/DINA3 - Stifte in verschiedenen Farben

Dauer: bei mir hat es ca. 15 Minuten gedauert

Beschreibung der Übung:

1. Schreibe den Begriff "Einheit" in die Mitte eines Blattes.


2. Formuliere deine Gedanken, Bewertungen, Diagnosen, Interpretationen, ... die du über die Einheit hast.  

  • Woran denkst du, wenn du an den Begriff "Einheit" denkst?
  • Welches Ereignis kommt dir sofort in den Sinn?
  • Welche Wörter assoziierst du? 

3. Schreibe alles, was dir durch den Kopf schießt um den in der Mitte stehenden Begriff der Einheit. 

Lass dieses Bild ein paar Minuten auf dich wirken. 

 

4. Wie geht es dir jetzt? Spüre nach, wie es sich für dich anfühlt und wo in deinem Körper du deine Gefühle zu deiner Mind-Map spüren kannst. Notiere sie an den verschiedenen Stellen auf deiner Mind-Map. 

 

5. Verweile bei einem Gedanken/Urteil/Bewertung und einem Gefühl. Spüre nach, welches Bedürfnis für dich dazu erfüllt ist oder unerfüllt ist. Notiere auch das Bedürfnis an der entsprechenden Stelle der Mind-Map. 

 

Nimm gerne eine Gefühls- und Bedürfnisliste zur Inspiration. 

 

6. Wie geht es dir jetzt? Hast du eine Erkenntnis für dich gewonnen? Wenn ja, dann notiere sie ebenfalls an der für dich passenden Stelle auf der Mind-Map. Wenn nicht, spüre gerne weiter nach. 

Birgits Mind-Mindmap zur Übung
Birgits Mind-Mindmap zur Übung

FAZIT: In meinem Kopf gibt es vermutlich noch ein paar weitere Mauern, Vorurteile über Regionen, Menschen, politische Systeme, die mir - noch - unbewusst sind. Vielleicht schaffe ich es in diesem einen Leben auch nicht, mir darüber bewusst zu werden und diese zu verwandeln. Aber ich bin zuversichtlich, dass die dauerhafte Beschäftigung mit der GFK zu einer Veränderung beiträgt. Denn dadurch gelingt es mir, mich immer wieder aufs neue mit meiner Haltung, meinen Bewertungen und unerfüllten Bedürfnissen zu verbinden und neue Strategien zu entwickeln, zu entdecken, um sie zu erfüllen.  

Sehr gerne freue ich mich, über deine Rückmeldung, deine Erkenntnisse oder über das, was du mir gerne dazu sagen magst.  Am liebsten über einen Kommentar, hier unter dem Blog-Artikel.

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Kommentare: 2
  • #1

    Ariane Brena (Samstag, 03 Oktober 2020 09:17)

    Hallo, Birgit, mir fällt zu Beginn deines Beitrags etwas auf, was mich auch bei den Mainstream-Gedanken zum Thema beschäftigt. Es scheint eine unhinterfragbare Forderung zu geben, dass wir Deutschen uns alle um mehr "Einheit" kümmern sollten. Ich fürchte, dass das eine ausgebuffte, wenn auch unbewusste Fortsetzung des westdeutschen kolonialistischen Besserwissens ist.
    Als ich vor einigen Jahren von West- nach Ostdeutschland zog, wurde mir das irgendwann in mir klar. Seither arbeite ich mich daran ab, die Unterschiede zu achten (statt zu ächten???). Ich lerne dadurch sehr viel über Prägung, sprich, die "Produkte" unterschiedlicher Varianten von Gehorsams-Erziehung, über die Zeit, die für Entwicklung gebraucht wird, und über mich selbst.
    Bevor ich herzog, ging es mir ähnlich wie dir - keine Beschäftigung mit Einheit oder Osten. Und das konnten sich nur wir Wessis leisten. Wir brauchten ja kein neues System zu lernen.
    Was ist meine Bitte? Mhm. Dass du dies liest und wenn du magst, antwortest.

  • #2

    Birgit Schulze (Samstag, 03 Oktober 2020 18:53)

    Hallo Ariane,
    danke für deinen Kommentar. Deiner Bitte komme ich gerne nach. Erhellend ist für mich deine Aussage, "die Unterschiede zu achten und nicht zu ächten."

    Das gefällt mir, denn dadurch darf Ost- und West, Neu und Alt oder wo auch immer die Unterscheidung zu finden ist, bestehen bleiben. Danke, dafür. Nicht nur in Bezug auf unsere deutsch-deutsche Geschichte, sondern auch in anderen Lebensbereichen und Regionen.

    Und mir wurde gerade auch noch mal klar, dass es für mich viel leichter war vor 30 Jahren - und vermutlich bis heute - darüber nicht weiter nachzudenken, denn ich musste nicht umlernen, umdenken, nix verändern.

    Danke also für die vielen Erkenntnisse, die ich jetzt durch dich gewonnen habe.

    Viele Grüße und einen wundervollen Tag der Deutschen Einheit.

    Grüße Birgit